Kunst & Inbrunst

Gedichte zur Kunst und der künstlerischen Inbrunst nebst dem entsprechenden Leiden.

Bernried Landesteg & das zweitausendfünfhundertvierundzwanzigste Gedicht

Wasseroberfläche vom Starnberger See bei Bernried

Hochgefühl, tiefergelegt

Vom See her weht der Wind und sagt:
"Das Gute hat gewonnen."
Und in die alten Ufer ragt
Ein Neues, das begonnen.

Ich spür die Brisen, seh die Wellen -
Doch in mir weilt die Skepsis.
Sich auf mehr Hoffnung einzustellen,
Besänftigt nicht die Sepsis.

Es wiegen Halme, Blätter schwingen -
Erobert scheint der Steg,
Erzählbereit von bess'ren Dingen.
Zu guter Letzt: ein Weg.

Man trug den Eifer, unverzagt -
Längst trag ich meine Schwächen,
Werd, da ein frischer Aufblick tagt,
Versinken ins Gebrechen.

Das bisschen angefaulter Mut
Schafft's nicht mehr zum Triumph.
Zu oft verwässert ward das Blut,
Der Adern Haut zu stumpf.

Das Abgekämpfte stört das Bild
Und schmälert den Gewinn.
Wer jetzt nicht feiert, jetzt nicht wild,
Gehört dort nicht mehr hin.

Schlossparkkanal & das zweitausendfünfhundertzweiundzwanzigste Gedicht

Gondel im Schlosspark Nymphenburg

Eine Busfahrt bei Regen

Der Bus, er durchrädert ein Pfützengespritze,
Feuchtneblig erblinden die Scheiben.
Die vom Sommer noch kürzlich beschienenen Sitze
Erklammt neues Kühl, um zu bleiben.

Es wird Herbst, schreit die tropfnasse Kondensation.
Es bleibt sommerlich, kontert mein Hoffen.
Doch die Busfahrerdurchsagen ändert ein Ton,
Der macht mich bedenklich betroffen.

Ich bestelle dem Sommer zehn Comebackabsichten,
Mit Lieferzeit zwei bis drei Wochen.
Bis dahin mag Regen sein Unheil verrichten,
Den Sommer zur Abheftung lochen.

Es wird Herbst, hört man's Frühchen der Dunkelheit plärren.
Es bleibt sommerlich, schnauz' ich zurück.
Werd' mich mit viel Beharr gegen's Aufgeben sperren,
Bewahr' meine Rolle im Stück
"Eine Busfahrt bei Regen".

Ich mag mich deswegen ja gar nicht beklagen,
Werd' weiter vom Hof der Gewissheit verjagen,
Was Schlusspunktesetzer in Hetze platzieren.

Noch geht die Fahrt weiter, kann so viel passieren ...

Salzach & das zweitausendfünfhundertzweite Gedicht

Blick auf Salzburg vom Müllnersteg

Die Vorstellungsschwäche des Faktischen

Es hat sich der Fluss einst vom Berg aufgemacht -
Da wusst' er noch gar nicht wohin.
Und vielleicht hat er erst sich in Zweifel gedacht
Übers Überhaupt, Richtung und Sinn.

Erst zuletzt die Entscheidung: "Ich fließe ins Tal
Und ich wähle als Weg dieses Bett!"

Das Nachhinein schreibt Hier bestand nie ne Wahl.
In seinen ideenfreien Chat.

Bahnwärterwacht & das zweitausendvierhundertneunundneunzigste Gedicht

Auf dem Gelände des Bahnwärter Thiel

Crème de la Crème

Ich wünsche mir vor meines Lebens Erblindung
Noch so etwas wie eine Eiscremeerfindung.
Etwas Nützliches, dass dem Genusse entspringt -
Etwas Nutzloses, dass sich als Must-have verdingt.
Ein Gewöhnung verpönendes Mahl des Verwöhnens,
Ein unübergehbares Mal des Versöhnens,
Unwiderlegbar als "Is the world nice?!"-Meme -
Kurzum, ein bisschen so etwas wie Eiscreme.

So 'ne Erfindung der Welt hinterlassen,
Als letzter Akt vorm finalen Erblassen,
Irgendwie etwas wie Eiscreme vererben ...

Gut, man kann friedlich auch ohne dies sterben.
Doch das als ein Restzielchen nicht aufzugeben -
Das ist letztendlich mein Anspruch ans Leben.

Resis Brunnenhof & das zweitausendvierhundertachtundneunzigste Gedicht

Der Wittelsbacherbrunnen im Brunnenhof der Münchner Residenz

Sucherlohn für L.

Die Straße, die einst man nach dir mal benennt,
Wird sicherlich gebaut.
Und irgendwer sagt dann, der dich gar nicht kennt,
Du hättest dich echt was getraut.

Vielleicht, dass notorische Parkplatznot gibt
Dort ständigen Anlass zu fluchen?
Auch du warst - posthum, doch nie wirklich geliebt -
Verdammt, lebenslänglich zu suchen ...

Die Katzenstadt & das zweitausendvierhundertsechsundsiebzigste Gedicht

Die größte Katzenstatue (3 m) von vielen in Kuching

Im Cat Museum Kuching

Es gibt viele Museen
Voller Muss-ich-nich-seh'n
Und auch dies ist so eins - theoretisch.

Doch so üppig gefüllt
Wird geübt mir enthüllt:
Der Komplettkosmos von einem Fetisch.

Federfuß & das zweitausendvierhundertneununddreißigste Gedicht

Blässhuhn am Karlsfelder See

Rollenwechsel

Heut bin halt ich mal Publikum,
Drum schalt ich mich plus Handy stumm.

Parque Josone & das zweitausendvierhundertsiebenundzwanzigste Gedicht

Im Parque Josone, Varadero

Eine Kosmosfülle Gutgemeintes

Eine Kosmosfülle Gutgemeintes
Erstreckt sich in die Gassen.

Durch der Fassade Gipspracht scheint es:
So müsst'es halbwegs passen,
Dass Motivation und Erfolg sich mal küssen!?

Der Überstrich fordert: Sie müssen, sie müssen!

Doch nichts passiert. Nein, der Verfall
Ermächtigt sich hier überall
Der quasi unbenutzten Stadt
Und plündert das gemachte Nest
Für das so schmuck garnierte Fest,
Das niemals stattgefunden hat.

Alle Rechte bei Ute Kratzer, die das Gedicht im Rahmen der Kuba-Spendenaktion 2024 erstanden hat.

Grünspecht & das zweitausenddreihundertachtundfünfzigste Gedicht

Grünspecht in Moosach

Die Flugbegleiter

Ich schwärme wieder aus und säe
Meine Saat in Strudelnähe.

Der Blutfluss jeder alten Wunde
Benötigt keine weit're Stunde
Sich tropfnass zu erholen.

Die nächste Runde darf beginnen -
Als Rinnsal kannst du nicht gewinnen!

Wie sehr ich mich nach Ruhe sehne,
Erzähl'n die rings verstreuten Zähne
Wie rabenschwarze Dohlen.

Weißbüschelaffen & das zweitausenddreihundertfünfunddreißigste Gedicht

Sagui- oder Weißbüschelaffen auf der Ilha Grande

Spätes Nachsitzen

Nun bin ich schon älter als einst meine Lehrer
Und frag' mich, was brächt' ich mir bei?
Wo fänd' ich den Zugang als Wissensvermehrer
Fürs üb-liche "Give it a try!"?

Schlurfende Gedankengänge,
Ohne Drall nach vorn -
Ob der Morgens-Aufsteh-Zwänge
Allen Flow verlor'n.

Konnten all die Pflichtlektüren
Mich zu den Gedichten führen?

Zumindest: Es wurden die Pfade gelegt
Zu Beeten, die seither man selbstbewusst pflegt.

Behaupt' ja gern und stur, ich hätt's
Mir selber beigebracht -
Liest das jetzt der Herr X, ich schätz',
Dass er nur herzlich lacht.

Nun bin ich schon älter als einst meine Lehrer
Und wie ihnen ist mir heute klar:
Es log meine Show als Aus-Trotz-Aufbehrer,
Wie formbar ich doch damals war.

Alle Rechte bei Hans-Peter Franz, der das Gedicht im Rahmen der Rio-Spendenaktion 2023 erstanden hat.

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