Dutzendzeiler

Wanderndes Eis & das zweitausendfünfhundertachtzigste Gedicht

Eisfläche vorm Schloss Nymphenburg

Nein, also jetzt bitte nicht allen Ernstes ein verärgertes Bahngedicht?!

Herr, gib mir die Geduld zurück
Für Zugverzögerungen!
Kaum hör ich was von SEV,
Bin ich von Zorn durchdrungen,
Mein Gleichmut ist verletzlicher
Als Eintagsfliegenjungen -
Gern wär ich bei 'nem Zugausfall
Ein wenig ungezwungen.

Ich frag dich, was würd Jesus tun
(der soll ja recht viel wissen)?
Wie pflegt der Mensch sein In-sich-Ruh'n,
Wenn die Geduld zerschlissen?

Winterhecke & das zweitausendfünfhundertfünfundsiebzigste Gedicht

Am Schlosspark Nymphenburg

Altersruhesitzen

Ich nehm zum ersten Mal heut Platz
Auf meinem Altersruhesitz.
Es ruft ne ungelesne WAZ,
Dass ich durch ihre Zeilen flitz.

Hier werd ich meine letzten Kräfte
Zum Spurt zusammenballen
Für Studien alter Comichefte.
Vielleicht wird's mir gefallen …

Die letzten Runden sind ein Keks
Von zuckerbittrer Note.
Wär gern noch etwas unterwegs -
Schon setzt die Zeit Verbote.

Hüttenzauber & das zweitausendfünfhundertdreiundsiebzigste Gedicht

Auf dem Moosacher Hüttenzauber Weihnachtsmarkt

Orange/Angela (Ein Abzählreim)

Ich sitze in der Waschmaschine,
Esse eine Apfelsine,
Schmatze unermesslich.

Ich habe noch sehr viel Termine,
Wo ich grässlich gern erschiene -
Bin jedoch zu hässlich.

Das Wasser strömt, mich einzunässen,
Die Orange ist gegessen,
Ich bin sehr vergesslich.

Bis ich Angela aus Hessen
Bitte, "Power Off" zu pressen,
Wirke ich schon blässlich.

Budapester Platz & das zweitausendfünfhunderteinunddreißigste Gedicht

Fassade am Budapester Platz Stuttgart

Schiefe Städte

Städte voller Gefühl:
Hier lief irgendwas schief.
Und ihr Menschengewühl
Prägt ein optischer Mief.
Es scheint jede Sekunde
Vergeudete Zeit.
Jede übliche Runde
Ist niemand bereit
Zum Zweck der Entdeckung zu dreh'n.
Ja, klar, gibt' hier Parks, vielleicht schöne Museen …

Doch lief irgendwas schief hier (bin vom Kosten schon satt)
Und ich selbst viel zu lange schon durch diese Stadt.

Wasserburg & das zweitausendfünfhundertsechste Gedicht

Große Kunstausstellung in Wasserburg

Aufenthaltsamkeit

Wie beeinheimischt schlurf ich die Straße entlang -
Die ich einfach mal Poststraße nenn.
Bin völlig bereinigt vom Sightseeingzwang,
Weil ich alles bereits bestens kenn.

Außer: die richtigen Namen der Straßen,
Der Gassen, der Winkel und Leute …
Ich merk sie manchmal, doch immer in Maßen -
Als Kurzgesprächsrüstzeug fürs Heute.

Die mir so verblieb'nen Erkenntnismomente
Will ich mir enthaltsam bewahren
Als das vom Alltäglichen sauber Getrennte.

Dann schaff ich's zum Stammgast seit Jahren.

Neuzuzug & das zweitausendvierhundertzweiundneunzigste Gedicht

Neuzuzug am Feldmochinger See

Die Wiedersehenden

Ach, wie elend lang war ich nun hier nicht mehr da!
Ich fürchte mich vor dem Versprechen,
Ich machte mich fortan nie wieder so rar -
Solch Leichtfertigkeit wird sich rächen!

Unser Wiederseh'n ächzt unter Melancholie -
Wie viel Tonnen davon kann man tragen?
Wir befinden, spät sei ja doch besser als nie
Und man könne sich gar nicht beklagen.

Wenn ich "Stimmt so!" sag, mein ich: "Behalte den Rest gern
Für dich!" - hier verlangt's niemand nach Kommentaren!
Mein Ich, das hier rumstreunt, kommt immer von Gestern
Und grüßt die Gefährten, die wir einmal waren.

Perlebucht & das zweitausendvierhundertachtundachtzigste Gedicht

Kitesurfer an der Büsumer Familienlagune Perlebucht

Kurzflug (Zugfahrt Meldorf-Itzehoe)

Ein Flugzeug äußert still Protest,
Als sich der Zug erhebt.
Ich halte mit den Augen fest,
Was dort am Boden klebt:
Felder, Wälder, Schrebergärten,
Zum Finale: der Kanal.

Dann senkt alle Zuggefährten
Erdanziehungskräft'ger Stahl.

Die Zeit, da Überwindungssieger
Sich auf den flieg'nden Teppich wagen
Ist kurz. Und kühl moniert der Flieger
Herab: "Ich wollte grad schon sagen …!"

Meldorfer Schwung & das zweitausendvierhundertfünfundachtzigste Gedicht

F. Jörg Haberland: Meldorfer Schwung an der Zingelstraße in Meldorf

Das Gewicht der Idylle

An einer Straße, auf der tagelang gar nichts geschieht,
Rauschen unüberhörbar die Bäume.
Der Leerstand erobert sich weiter Gebiet,
Birgt verlässlich verlassene Träume.

Ein lässiger Marder nach drüben flaniert -
Der kennt jedes Auto seit Jahren.
Er wird von der Nachbarschaft sehr akzeptiert
Und irgendwann doch überfahren.

"Achtung, eine Zugdurchfahrt!",
Warnt's vom Bahnhof hinein in die Stille -
Auf die hat man fast zwei Jahrzehnte gespart.
Und ein junges Blatt macht killekille.

Affenbrücke & das zweitausendvierhundertdreiundsiebzigste Gedicht

Kurzschwanzmakake beim Überqueren eies Nebenarms des Kinabatangan.

Schmierfingern

Unter einem Palmölteppich
Schlummert ein Rhinozeros,
Das durchs Horn - ganz wohlstandspeppig -
Als Potenzschub sich ergoss.

In die Palmölgluckerfluten
Taucht ein Orang-Utan.
Wir, als die besorgten Guten,
Trinken uns grad Mut an.

Und die Palmölwedeldecken
Meucheln weitre Tiere.
Wir, die ihre Finger recken,
Stehen dabei Schmiere.

Iban Longhouse & das zweitausendvierhundertsiebzigste Gedicht

Langhaus am Batang Ai Stausee

Langhausheimweh

Bin schon lang raus
Aus dem Long House
Solidaritätsgemeng.

Mochte die Runde
Meiner Fre-unde,
Doch dann wurd' es mir zu eng.

Korrekt sich zu trennen,
Das muss man ko-ennen -
Oftmals wird da falsch gewählt.

Fand's mal sehr gut,
Heut ist's Schwermut,
Die mich, abgenabelt, quält.

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