Grusel

Mysteriöses, Düsteres und Unheimliches. Gruselgedichte!

Septembertiefe & das sechshundertvierundsechzigste Gedicht

Am Ammersee

Unter Stürzenden

Die Luft ist hier ein Kilo schwerer
Die Nächte fast elfmal so kalt
Hier zieht noch der Flächenbeteerer
Den Hut vor dem dräuenden Wald

Der Pfarrer fragt uns, wo es weh tut
Wir werden von jedem gegrüßt
Sind Brüder und Schwestern in Demut
Und haben für all das gebüßt

Wir schmecken lebendige Süße
Doch niemals ganz ohne Verdacht

Dir, Mutter, die herzlichsten Grüße
Ich wünsch dir 'ne bessere Nacht

von Wittelsbach & das sechshunderterste Gedicht

Reiterstandbild Herzog Ottos von Wittelsbach

Süßer Gries

Schnitzt aus meinem Schädelknochen
Euch ein Elfenbeinbesteck

Schmeißt, was vorm Dessert zerbrochen
Und auch all die Selfies weg

Gaugrau & das fünfhundertdreiundachtzigste Gedicht

Im Gau

Da sitzte
Im Gau
Und weißt ja genau
Das verspritze
Blut
Ist Brut
Einer doch zu intensiven
Spitzfindigen, dringlich tiefen
Narbennahen
Nabelschau

Bauer A spricht wütend: "Wei,
Siagst as - so a Sauerei!"
Bis es allen ähnlich graut:
"Gut, dass wir noch nachgeschaut!"

Dir, gerühmter Analyst
Reicht man Blümchen und du bist
Nach der Wand aus Rand-Misstrauen
Und dem Mist in andren Gauen
Immerhin
Mittendrin

Hütte 1 & das fünfhundertfünfunddreißigste Gedicht

Im Wald von Ludwigshöhe bei Ebersberg

Im Haus der Sünder

Oh, reiß dir das kalbende Herz aus der Brust!
Dann huste die Blutleere rosig und plünder'
Gesünderen Seelen entflohene Lust
Aus Musterregalen im Hüttchen der Sünder

Dort, prustend vor höhnischem Lachen, erspähten
Wir mündervereinigend Kalamitäten
Gleich von uns angepüstelten Sahnehäubchen
Und schlürften vom Boden verendete Täubchen

Nachtschattengewächse & das fünfhundertzweiunddreißigste Gedicht

Saatkrähe an der Isar

Die im Dunkeln

Düsternis an hellen Tagen
Mahnt euch, nicht zu viel zu wagen
Warnt vor nahendem Versagen
Lasten, die alsbald zu tragen ...

Mein Gemüt beizt längst der Saft
Einer düstern' Brüderschaft
Den berauscht schon volle Kraft
Wenn man kurz die Rollos rafft

So sind aufs Dunkeln dieser Welt
Die Unken besser eingestellt

Moohr & das fünfhundertdreißigste Gedicht

Algen in Venedigs Lagune

Wieder einmal beginne ich die Gedicht-Woche mit einem Ripostegedicht, das sich die Zuschauer meiner Lesebühne Poetry & Parade gewünscht haben. Diesmal eine erotischer Remix von Annette von Droste-Hülshoffs "Der Knabe im Moor".

Das Knabbern am Ohr

O kau ich dir am Ohr, ist's schön,
Wenn es knistert im Speichelschaume,
Schlucklaute über dein Trommelfell dröh'n
Und die Zunge entspringt ihrem Zaume,
Unter jedem Schleck ein Quellchen springt,
Wenn's rund um dein Ohrläppchen zischt und singt,
O kau ich dir am Ohr, ist's schön,
Wenn ein Röhren flüstert vom Gaume'!

Fast hold vor Liebe, erzittert das Kind;
Nun trennt es vom reinen Behage
Die Frage, wie ehrlich die Absichten sind -
Hat das Schleckermaul nicht eine Raubtiervisage?
Hat denn jemals gebändigt das Menschengeschlecht
Jenen Trieb, für den meistens ein Beutetier blecht?
"Duhu ...bist sicher nicht bissreflexblind?!
Nicht schlucken! Nur knabbern und nagen!"

Vom Kiefer starret Gestumpf hervor,
Das heimlich giert nach Gehöre,
Als Knabberei verschwand manch Ohr
Durch Riesenhungers Begehre;
Und wie fies es tief im Rachen spricht:
"Ohrmuscheln sind mein Leibgericht!"
Da bleckt der Backenzähnechor,
Da späht die Speiseröhre!

"Ohr dran, Ohr dran!" so wimmert es laut,
"Ohr dran - ach, ich will doch noch hören!
Mit wenig Genuss wird solch Knorpel verdaut,
Sein Fleisch will kein Mund gern verzehren!"
Erst lippengebändigt, hebt sich das Visier;
Da blitzt des Schneidezahns Ungetier,
Das in diebischer Absicht den Ohrrand bekaut -
Der will noch Papillen betören!

Da birst's im Ohr, den Löffel zerrt's
Herein in die klaffende Höhle;
Schon rutscht's vom Zahndamm magenwärts:
"Ho, ho, hinein in die Kehle!"
Der Knabberer schlingt wie im rohen Wahn;
Wehrhaft trutzt das Kind dem nahen Zahn,
So befreit es die Kraft des sich sperrenden Pferds
Und gewährt, dass kein Ohr an ihm fehle.

Da endlich Grunz-Erotik wich
Der bübischen Zärtlichkeits Weide,
Die Leidenschaft stimmt heimelig,
Der Knabberer steckt in der Scheide.
Tief atmet er auf, zum Ohr zurück
Doch dorthin zieht's ihn echt kein Stück:
Denn am Gehör schmeckt's fürchterlich,
Und schaurig war's für sie beide!!

Biedersteiner Kanal & das fünfhundertdritte Gedicht

Eisstockschießen vorm Nymphenburger Schloss

Unterm Eise

Unter dem Eise
Blubberte leise
Eine Blase
In mein Ohr
Und im Gase
Hört ich Welten
Die die trübe Schicht erhellten
Unter der ich gern erfror ...
Meine Arme ausbreitend
Reglos gleitend
Auf der Reise
Unterm Eise

Spinne, bunt & das vierhundertsechsundsiebzigste Gedicht

Wem man so beim Spaziergang begegnet. Auf vielfachem Wunsch: ein Spinnengedicht! Was man nicht sieht: Im Netz hing ein wunderschöner, halb verwitterter Morphofalter.

Die binomischen Formeln der Insektenphobie

Spinnen drinnen?
Braucht man Mut!
Spinnen draußen?
Auch nicht gut ...!
Und in Spinnen innendrin?
Klingt nicht grad nach Hauptgewinn!

Gut? ... da alle einig grienen
Widmen wir uns nun den Bienen:
Bienen drinnen?
Etc. etc.

Parque Central & das vierhundertfünfundfünfzigste Gedicht

San José Parque Central

Die Distinguierten

Wir schlendern umher wie durch sichere Zeiten
Als würd die Verlässlichkeit niemals gestutzt
Wir geben uns achtlos, wir schreiten und gleiten
Und selbst die Galoschen sind immer geputzt

Polizei und auch Policen
Blieben immer ungenutzt
Wir, die wir uns sorglos hießen
Haben jeder Angst getrutzt

Was für uns gegolten
Gilt schon längst nicht mehr
Unreinheit und Wolken
Reimen immer näh'r

Narrenhände
Schreiben schon
Unser Ende
In ihr Droh'n

Keiner
Sah
Die Ge-
Fahr

Wir schlendern umher wie durch sichere Zeiten
Als würd die Verlässlichkeit niemals gestutzt
Wir geben uns achtlos, wir schreiten und gleiten
Und selbst die Galoschen sind immer geputzt

Nikolaus & das vierhundertneununddreißigste Gedicht

Isarwehr

Ripostegedicht zu "Knecht Rupprecht" von Theodor Storm, dessen abschreckende und erzieherische Wirkung über die Jahre etwas einzusacken droht.

Magd Knappragd

Magd Knappragd hieß das böse Vieh
Ihr Defizit an Empathie
Empfahl sie schon früh
Als mit echtem Vergnü-
Gen züchtigend prügelnde Knechtassistentin
Obschon 's Gottes Sohn echt krass empfand, wenn sie'n
Sperriges Gör mit dem Schlagring bedrohte
Es hieß: "Bei der Knappragd gibt's irgendwann Tote!"

Wo der Rupprecht sich manchmal das Schlagen erspart'
Blieb die Strafe der Magd immer unverzagt hart
Sie nahm mit ihren ehernen Prügel
Die Unartigkeit wahrhaft stramm an die Zügel
Auch entlockten ihr weder Gejammer noch Tränen
Je mehr als ein zähneentblößendes Gähnen
Geriet auch mancher Schaden groß
Die Magd blieb standhaft gnadenlos

Es müssen, ganz klar, im beruflichen Leben
Grad gewalterzieh'nde Frauen
Selbstlos immer alles geben
Und doppelt hart wie gerne hauen

Doch es mehrten sich erstmals auch kritische Stimmen
Dass der Chor der Schmerzensschreie
Vom schändlich adventlichen Blagen-Vertrimmen
Unser Weihnachtsfest entweihe ...

Jahrs drauf - da war autoritär
Plötzlich nicht mehr populär
So dass Magd Knappragds Boss beschloss
Nicht fortzufahren wie bisher
So sehr man's jahrelang genoss
Der Weihnachtsmarkt gäb's nicht mehr her
Man dürfe die Trends unsrer Zeit nicht verschlafen
Und der Nachfragerückgang an härteren Strafen
Sei so eklatant
Dass man letztlich befand
Im Züchtigungssektor 'ne Stelle zu streichen
Denn eine Kraft würde da allemal reichen
Wenn in dieser Phase der Harmonie
Hier jemand zu viel ist, so sicher doch sie

Magd Knappragd, die ja nücht mehr jung
Verstand sich nur auf Züchtigung
Bald machte man ihr klar, sie war
Nicht anderwärts vermittelbar

So musst', da die joblosen Tage sich jährten
Ihr hartes Herz noch mehr verhärten

Und neue Kinder kam'n ins Land
Gewannen gar die Oberhand
Kaum abgeworfen von den Storchen
Wollten die nicht mehr gehorchen
Knecht Rupprecht, der alleine war
Fühlt' alsbald sich 'nem Burn-Out nah
Er rief: Ey, Christkind, überreiz
Hier nicht die Geschichte vom heiligen Geiz!
Diese Gör'n sind so blöd wie verhaltensstur
Kackfrech, gierig und entgrenzt im Verhalten
Hey, wir hab'n doch grade Konjunktur!
Und die Zeit, einen Stellenausbau zu gestalten
Um dann zu vollbring'n, was die Eltern nicht schafften
Die Satansbräten zu entsaften
Jene vorlauten Paschas mit ADHS
Die quenglig-verwöhnte "ich mag nicht"-Comtesse
Die - so wie DU! - egomanisch verdorben!

Nun, Magd Knappragd hat sich auf die Stelle beworben ...

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