Grusel

Mysteriöses, Düsteres und Unheimliches. Gruselgedichte!

24 Augenwerk & das achthundertachtundsechzigste Gedicht

Innenhof Schloss Blutenburg

Ohne Worte

Derweil meiner Fresse die Zähne zerfielen
Und ein Pilz aus dem Lippenriss spross
Schälten sich von meiner Zunge die Schwielen
So kam's, dass ich schweigend genoss
Und nach und nach Loch um Loch wiederbefüllte
Und Essensrestnester mit Wundfleisch umhüllte

Weil aber den Zerfall eine Zähheit befraß
Die jeden Sporn Hoffnung vermüllte
Kam's, dass ich um Hilfe zu schreien vergaß

20 Wandgewürm & das achthundertvierundsechzigste Gedicht

Stuttgart Schlosspark

Natürliche Hauslese

Es lesen die Maden in meinen Wänden
Ein Rezeptbuch für tödliche Wunden
Verwesendes steht erst in späteren Bänden
Selbst Mädchen zähl'n da zu den Kunden

12 Querwasser & das achthundertsechsundfünfzigste Gedicht

Schadlose Tat

Da ist schon Gewalt, wenn sich unangesprochen
Nasses Laub auf Befangenheit legt
Da kommt jede Ahnung als Angst angekrochen
Und wird auch beständig gepflegt

Die gut Situierten und anmaßend Rohen
Sie sippeln an Smoothies aus wortlosem Drohen
Und ihr Schweigen spricht: Füg dich, sonst mach ich dich kalt!

Eine Tat ist nicht nötig, da ist schon Gewalt

11 Denkverhinderung & das achthundertfünfundfünfzigste Gedicht

In den Isarauen

Das Gären

Unterm asphaltischen Wegekonstrukt
Regt sich verbotenes Denken
Noch halten die Mägen, die alles geschluckt
Noch kann man es ungestört lenken

Doch

Über kurz oder lang lässt sich's nicht mehr verdecken
Denn es bläht und es furzt schon aus allerlei Ecken

1 Innenwind & das achthundertfünfundvierzigste Gedicht

independence avenue victoria mahe seychelles

Auf zum lesebegleitenden Dichten! Zu jedem der 45 Kapitel des Romans "Miakro" von Georg Klein werde ich ein Gedicht verfassen, zu dem ich durch irgendeine Wendung, irgendeinen Ausdruck oder sonstige Abschweifung angestoßen wurde. Keine Nacherzählung - zumal ich während des Verfassens nicht einmal weiß, wie die Geschichte verlaufen wird, aber vielleicht eine stimmungsbegleitende Vershülle.

Vorahnen

Schon dem Morgenwind entrinnt
Das Quäntchen der Verlässlichkeit

Wer erwacht noch sorgenblind
Wenn jeder Hauch nach Augen schreit?

Trotz der Stille aufgerührt
Sammeln sich wandernde Zeichen
Willensschwach und leicht verführt
Fügen sich die Weichen

Isarlauf & das achthundertneunte Gedicht

Isar

Ripostegedicht zu "Der Reiter und der Bodensee" von Gustav Schwab

Die anderen Reiter und der Bodensee

Tief unten und in Bodennäh'
Harrt auf dem Grund vom Bodensee
Die Reiterschar, die übers Jahr
So durch das Eis gebrochen war

Von Zeh und Huf bis zu den Ohren
Starr'n Ross und Reiter schockgefroren
Hinauf zur milchig strahl'nden Schicht
Wohlwissend: "Manchmal hält die nicht!"

Und jeder, der hindurchgerammt
Schwebt nun zum Zombietum verdammt
Im kühlen Nass, wo nichts verdirbt
Bis er im Frühling richtig stirbt

Wenn Sonnenstrahl die Eisschicht taut
Wird auch der Körper abgebaut
So lange müssen unten warten
Die hier ein Stockwerk tiefer traten

So muss manch Recke nutzlos dümpeln
Im Bodensee und andren Tümpeln

Doch, horcht! Da naht auf seinem Rosse
Vom Ufer ein künftiger Leidensgenosse!

Schon trabt er mit immer leicht schlitternden Tritte
Zum Eingangsbereich der schon knisternden Mitte
Dumpf durchwabert der Schall von dem Todesgalopp
Die zermürbende Stille des Sees, bis dann "Stopp!"

Ein Leichnam namens Bertram schreit
"Ihr Mannen, macht euch mit bereit!
Entreißt eure Leiber des Winterschlafs Betten
Treibt mit mir nach oben, den Knaben zu retten!

Stützt mit den Leibern eurer Rappen
Die Eisschicht, wo sie einen schlappen
Und kläglich tragend Eindruck macht
Und wo's beim nächsten Kleindruck kracht!

Nun, Freunde, was soll ich euch lange behellen
Ihr kennt wohl am besten die heikelsten Stellen!
Vollbring'n wir's mit vereinter Kraft
Dass er's ans andre Ufer schafft!"

Kurz drauf wird die Schicht, wo ihre Deckkraft im Argen
Von den Rücken ertrunkener Pferde getragen

Schon donnert heran das Getrommel der Hufe
Von vorderster Front hört man Jubel und Rufe:

"Es hielt - wir hielten's! Er hat uns passiert!"
Und wenn auch manch Sprung durch die Eisdecke sirrt
Solange die Schutzschicht nur splittert statt bricht
Hält auch noch die Mitte des Reiters Gewicht

Und im Zentrum von alldem hält Bertram sein Ross
Den gefall'nen Gefährten im See nun der Boss
Da der durchschlagskraftmächtigste Tritt auf ihn bangt
Und er nur ruft: "Treffer. Mitnichten versenkt!"

Da schöpfen auch die, die's noch treffen wird, Mut
Zudem dort das Eis mählich dicker wird. "Gut,
Den kritischen Teil hat er nun überwunden
Und bald auch den Weg an das Ufer gefunden

Wo im Schatten der Berge es stärker gefriert
So dass ihm von nun an wohl nichts mehr passiert!"
Da jubelt die Schar und man gibt sich Highfive
Sie tanzen und singen zu "Stayin' Alive"

Doch kommt ein Zwerg hervorgekrochen:
"Just dort bin ich ins Eis gebrochen!"

"Just wo?!" "Nun, er reitet geradewegs hin!
Und dort ist das Eis wirklich dünner als dünn!"

Weh! Niemand traut da gern seinen Ohren
Nur Bertram gibt dem Pferd die Sporen
Und sein treuer Gaul schießt durch das Nasselement
So wie man das höchstens von Seepferdchen kennt

Schon ist's - so sehr strengt es sich an
Gleichauf mit jenem Reitersmann
Wie ein gekipptes Spiegelbild
Dort arglos - da entschlossen wild

Nun wird auch die Gefahr reell:
Den See trifft hier ein warmer Quell
Macht's Eis porös wie Blätterteig
Durchschmetterbar vom kleinsten Zweig

Um zu erkenn'n: Das hält ihn nicht!
Braucht es nicht erst 'nen Testbericht
Auf Verstärkung zu warten, dazu fehlt die Zeit
Also plant Recke Bertram die Rettung zu zweit:

"Wir bleiben stetig unter ihnen
Geleiten sie so wie auf Schienen

Und öffnet sich des Eises Spalt
Geb'n unsre Körper ihnen Halt!"

So ward zum Peak vom Eisschicht-Schwund
Das Pferd dem Pferd ein Untergrund
Bewahrt' es vor dem kühlen Grab
Perfekt getimet im Hucketrab

Dem Highsporn, der nach vorn nur stiert
Wird nicht gewahr, was hier passiert
Schon nimmt er mit 'nem Riesensatz
Im Fließ der Uferwiese Platz

Bloß Pferd und Bertram treib'n zerfetzt
Vom Hufgetrampel arg verletzt
Im eisfrei'n Teil des Sees herum
Wo sie sofort verwesen - dumm!

Denn kaum am Sauerstoff gerochen
Schält sich das Restfleisch von den Knochen
Trotzdem feiert nun stürmisch: "Oh, Bertram, du Held!"
Der Reittrupp Unterwasserwelt

"Siehst du ihn, noch?" "Ja, er erreicht jetzt das Dorf!"
Von den brüchigen Lippen des Boss' blättert Schorf

"Erzähl uns, was tut er?" "Er blickt grad zurück!
Ich denke, allmählich begreift er sein Glück.

Und nun ... bitte, nein! Gott, das glaub ich jetzt nicht!"

Na, ihr kennt ja das Ende vom andren Gedicht!

Alter Nordfriedhof Zentral & das achthundertachte Gedicht

Alter Nordfriedhof Zentral

Einschlafgedicht

Ich traf in einer coolen Bar
Schon oft den Grafen Dracula
Das Blut vom Mund sich wischend

Er sprach: "Die coolen Leute hier
Gefüllt mit gut gekühltem Bier -
Das schmeckt doch sehr erfrischend!"

Ja ja, Vampire
Tun das ihre
Dass des Nachts was los ist!

Und willst du nicht pennen
Lernst du sie schon kennen
Bevor du wirklich groß bist!

Tor 15 & das siebenhundertneunundzwanzigste Gedicht

Linz Donaubrücke

Ein Tief überm Hochofen Duisburg­Nord

Ein Tief überm Hochofen Duisburg-Nord.
Sieht aus, als geschieht hier heut Nacht noch ein Mord ...
Fauchend stiebt Glut sich durch Eisen und Schlacke,
Ein Schummel-Schimanski seufzt planlos: "Attacke!"
Und das Tief schaufelt Wolken aus Finsternis.

Schummrig erzählen erwählte Relikte,
Von Marxloh schrillt willig ein türkisches Fest,
Am Straßenrand lungern nach Hochfeld Geschickte,
Und stets flüstert einer: "Das ist nur ein Test!"
Ständig bleckt der Überbiss.

Und dann ist auch das wieder alles Geschichte.
Als Tatort verdorrt – nur noch Hort der Gedichte
Von Arbeit, Arbeit, Migration,
Vom Strandurlaub im Ungewiss –
Wer länger bleibt, der kennt es schon.

Tier(e im )Garten & das sechshundertsechsundneunzigste Gedicht

Im Tiergarten Berlin

Die Schlacht am Schlachtensee (Präludium)

Wenn Tauben ihre Ohren spitzen
und Spatzen schmatzend Silben (...)bitzen
dein Hund in Mikrowelsen gart
wird dir gewahr: Das Ente naht!

Wenn die sich erst trauen
am Menschen zu kauen
werd'n die ein'n nach'm andern
am Stück uns verdauen

Dir schwant beim Anblick jedes Schwanes:
Das Tier plant ganz was Abgefahr'nes!

Und niemand von uns wird in Ehren ergrauen
wenn die sich erst trauen
wenn die sich erst trauen

Tate Modern & das sechshundertsechsundsechzigste Gedicht

Tate Modern

666

Lass unsrer Körper Rohheit noch weiter vergröbern
In Stumpfheit und Dumpfen akribischstens stöbern
Unsre Eintönigkeit soll vernichtender wüten
Und fortwährend nur das Entsetzlichste brüten

Uns verfinstert die Schwärze von Abgrund und Fäule
Das Schnauben der apokalyptischen Gäule
Wir woll'n rücksichtslos jedweden Zustand zerstören
Und uns dem Ruin wie dem Abgrund verschwören

Unser katastrophales Dahinvegetieren
Wird tödliche Unruhe kontaminieren
Und den tödlichen Wahn, auf dem lässig wir gleiten
Besprenkeln bald Gehässigkeiten

Wir sind von neuem Unglück erschütterte Wesen
Von Qualen und Fürchterlichkeiten erlesen
Anstatt zerbrechlich woll'n wir nun verbrecherisch sein
Und Widerwärtigkeiten spei'n

Von verzagenden Balken ward unlängst berichtet
Die grundlos von Armut zugrunde gerichtet
Man beklagt sich bei uns sichtlich entrüstet: "Warum?"
Drum.

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