Middle of E & das eintausendneunhundertsiebenundfünfzigste Gedicht

Essener Hauptbahnhof

Vor abermals verregneten Scheiben

Und mit jedem herbstnen Regenfall
Berichtigt sich mein Blick.

Verschwommen tropft sich auf ein Wall,
Ein unvernomm‘ner Klick
Linkt zurück ins Graueinst - nunmehr ein Idyll.
Behauptet als Raubein, steh stad ich und füll
Die Welt in den Mauern von zu kalten Scheiben
Wie ein verzwergtes Jenseits auf.
Jenes lässt vom Elan sich längst schlechter vertreiben -
Ich nehm‘s als Alter gern in Kauf,
Da das Jetzt wie zum Trotz sich mit Unverstand schmückt,
Eine kindliche Bootsfahrt mich stärker entzückt.

Bis ich dämmrig mich mit diesem Fazit versöhn:
Mein Leben war - nicht ist - noch schön.

Oberbaum & das eintausendneunhundertsechsundfünfzigste Gedicht

U-Bahn auf der Oberbaumbrücke vorm Eierspeicher Universal Gebäude

Dem tapferen Baum an der Warschauer Brücke

Auferstanden aus Ruinen
Und aus Rinden, winterstarr
Zwischen Tram- und S-Bahnschienen
Blühst du auf! Wie jedes Jahr.

Unbeugsame Flowerpower
Trotzt dem eitlen Gammel-Look
Spammt dich auch ein noch so rauer
Degentrifizierungsdruck
Du sagst durch die Blume, unbeirrt
Es freue dich, dass Frühling wird!

Umströmt vom Party-People-Muff
Versumpfter Twens nach Billigsuff
Schluckst du den Touripöbelpiss
Nebst Pennerwein und Tölenschiss
Wirst regelmäßig vollgestrullt
Und unaufhörlich eingelullt
Vom Atzen-Sang von Kevins Miss
Von Studi-Talk und Bullen-Diss
Doch du blühst weiter, unbeirrt
Freust dich halt, dass Frühling wird!

Du konterst mit dem Blütenkleid
Der allgemeinen Hässlichkeit:
"Ich zieh mir heut wat Schicket an
Und frische auf, so gut ich kann!
Ein Frühlingserwachen in ewiger Dreckzeit
Und vielleicht halt' ich durch, bis dass ihr alle weg seid!"

Muss Schönheit auch vergänglich sein -
Ich zähl auf dich, Baum, häng dich rein!

In zwei Wochen ist all dein Zauber verblüht -
So lang sei Oase dem edlen Gemüt!

Stranddisco & das eintausendneunhundertfünfundfünfzigste Gedicht

Im Ausgehviertel von Essaouira

Diffizile Musendomizile

Weil ich hier auf Usedom
Nie so recht zum Schmusen komm',
Hab' ich meine Muse vom

Dienst suspendiert.

Wasserrad & das eintausendneunhundertvierundfünfzigste Gedicht

Wasserrad im Jnan Sbil Park nahe der Medina von Fez

Auf Rutengang

Ich bin als Wünschelrutengänger
Des tiefen Grunds Signalempfänger -
Drum schaudert's mir auch vor Rissen.

Was da unter der Krume vom sorglosen Leben
So dräut und gärt an Horrorbeben -
Das möchtet ihr lieber nicht wissen!

Fezfalter & das eintausendneunhundertdreiundfünfzigste Gedicht

Schmetterling im Jnan Sbil Park nahe der Medina von Fez

Traumwandler

Sie sagte, es sei ja nur
Ein schlechter Traum, nicht mehr.
Ich widersprach ihr, litt noch stur
Und ward der Lage Herr,
Nun erkennend: Nichts war den Ärger wert.

Nun trennt uns, dass sie unbeschwert
Den Weg, den sie erkannt', auch ging
Und nicht am oft Genannten hing.

Ich denke oft, jetzt wach zu sein.

Ob ich sie vermiss, magst du wissen? Ach, nein -
Ich erinner ihrer ja kaum.
Doch hatte sie recht,
Nichts zählt hier in echt.
Auch sie ist schon nur noch ein Traum.

Gummibäume & das eintausendneunhundertzweiundfünfzigste Gedicht

Reifenhalde in der Nähe vom Waldseiter Hof

Die adventlichen Müllsammler

Der Marabu ist mein Begleiter
Beim Schreiten durch den Müll.
Wir sind umwolkt von Futterneid, ver-
Meiden aber still
Und schweigend, hier Formen der Missgunst zu zeigen -
Uns eint wie entbrüdert, die Kunst abzuzweigen
Von dem, was hierher abgemüllt
Und unsre simplen Mägen füllt,
Seit Bissenwissen uns umweht,
Von dem, was andren obsolet.

Wir teilen als glücklose Stelzvögel hier
Die Früchte der feuchtwarmen Zone.

Uns kümmert nicht mehr, ob da Mensch oder Tier
Ist fremderleuts Herrgottes Sohne.

Garibaldimöwe & das eintausendneunhunderteinundfünfzigste Gedicht

Statue de Garibaldi am Piazza Indipendenza Verona

Zu früh gehofft

Denkst du nun als gerupftes Huhn:
"Mehr ist mir nicht mehr anzutun!"
So hast du nur unter den Schmerzen vergessen:
Das Ziel ist dein Ausgemerztsein via Fressen.

Cimitero Monumentale & das eintausendneunhundertfünfzigste Gedicht

Cimitero Monumentale In Verona

Die ??? und der unheimliche Vertrag

Wie wird es wohl weitergeh‘n,
Wenn wir vor ner Ampel steh‘n,
Deren Lichter alle leuchten?

Nicht so richtig, wie mir deucht, denn
Es führt zu drei Fragezeichen,
Tagelang sich anzugleichen.

Etschabendnebel & das eintausendneunhundertneunundvierzigste Gedicht

Die Etsch in Verona bei Nacht

The day after

Ich habe gestern diesen Tag
In Alkohol versenkt,
Bin aufgewacht in einem Sarg
Und war bereits erhängt.

Der Zweifel schaut mir trübe zu,
Aus glasigroten Augen -
Mein Kopf ist ein zerlatschter Schuh,
Das Hirn will nicht mehr taugen.

Ein Dämmern krallt sich in mein Ich,
Vom neuen Tag beschenkt,
Der harzig bei Geburt verblich,
In Alkohol ertränkt.

Madonna Verona & das eintausendneunhundertachtundvierzigste Gedicht

Brunnen der Madonna von Verona auf der Piazza Delle Erbe

Die Minnelichen

Du bist mîn, ih bin dîn -
Es rettet uns das Immerhin
Und geht doch keinen etwas an,
Wies under uns zwein ist getân!

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