Berlingedicht

Gedichte über das Leben in der Hauptstadt.

Tor 22 & das siebenhundertsechsunddreißigste Gedicht

Märchenwelt der Linzer Grottenbahn

Im Friedrichshainer Märchenbrunnen, restauriert

Hier, zu Hufen von vier Hirschen
im Rondell mit andren Tierschen
küssen sich d' Liebespärschen
und erzähl'n sich wieder Märschen
Turteln sich was zwischen niedlischen Putten
glauben sich das, zwitschern friedlisch vom gutten
Gefühl, das zwischen ihnen herrscht
Ob davon auch der Hirsch was merscht?

Da steht der drüber, liegend zwar
links, rechts – als je entzweites Paar
das keines Blickes würdigt sich
im Abgewandtsein brüderlich

Doch wer sieht auch die Hirsche? Man kommt ja hierher
um d' Putten zu gucken, zu rätseln, welch Mär-
chen sich hinter jedweder sandsteingefestigt
verbirgt und verbürgt, dass das Happy End mächtig
ist und techtelmechtig bleibt
Egal, was sie und ihn noch treibt

Nur: panta rhei – hier in Kaskaden
Wer alles will, der nimmt auch Schaden
Die Hirsche wird's nicht interessier'n
die musst' man auch nicht restaurier'n

Tor 16 & das siebenhundertdreißigste Gedicht

Berlin Mitte

Berlin, kulinarisch

Buletten aus Charlottenburg
Tea-to-go in Tegel
Dönerwerk aus Schöneberg
Für die Blagen Bagel

Prenzelberger Brezel-Backwar'n
Spanferkel aus Spandau
Pankows Pfanne heißt jetzt Wok
Nichts, was ich nicht ankau!

Von frischen Hai'n in Friedrichshain
War ja schon zu lesen
Selbst für Nockerln aus Neukölln
Lockern wir die Spesen

Was allzu unverdaulich – sprich:
"Iss das ma' selbst – ich trau mir nich'!"
Verklappen wir als Berlin-Food
'nem Easyjetset-Tunichtgut

An der Weltzeituhr & das siebenhundertelfte Gedicht

An der Weltzeituhr

An der Weltzeituhr

Ja, es hieß: "Um sieben an der Weltzeituhr!"

Kurz vor acht hab ich mich dann auch zu ihr gesellt
vergrätzt gedacht: "Jetzt motzt sie nur
und hat doch alle Zeit der Welt!"

Friedrichsbrücke & das siebenhundertvierte Gedicht

Friedrichsbrücke Museumsinsel Berlin

Die Nachtigallen von Berlin

Die Nachtigallen von Berlin
Zwitschern uns zu, dass der Tag weiter anhält –
Beim Einsam-um-die-Häuser-Zieh'n –
Und dass auch für Dich ein Minütchen noch abfällt.

Noch sind die Würfel nicht gefallen,
Noch reift der Ruf der Nachtigallen,
Noch bleibt uns das fehlende Stück zum Ruin –

So singen die Vögel des Nachts in Berlin.

Regierungsviertelinsel & das sechshundertfünfundneunzigste Gedicht

Regierungsviertelinsel

Eierschale Zenner im Winter, von der Insel der Jugend betrachtet

Auf Baccara mit Achim schwoofen ...
Ach, im Prinzip jeht's uns ja juut!
Ick jeh mir noch 'ne Weisse koofen!
Wer weiß, wie lang's deen Knie noch tut ...

Wir tanzten eenen janzen Sommer
Eierschalendiscofox
Unser Drive kam nich vom Drive-In
Burger Stinker - Zenner rocks!

Nu is aus unserm Biere Garten
die letzte Ernte einjefahr'n
Ick werd' auf den Saisonstart warten
und auf sechs Dutzend Weisse spar'n

Ditt Handy klingelt. "Ja?" Der Achim!
"Mit dem Knie - ditt wird nüscht mehr...!"
Baccara und i can Boogie
allet janz schön lange her

A&P-Plätze & das sechshundertvierundneunzigste Gedicht

Berlin Alexanderplatz

Pariser Platz

Jetzt bist du fast.
Wie Früher. Und jeden Tag
7.000 Megabyte schwerer.

Hier nimmst du ein Bad im Dat
enmeer der Speicherkart
en. Und tauchst wieder auf
in Japanitalien, Spaniengland, Bergischglatt, Bach.

Sowie Paris, natürlich.

Im Reichstag & das sechshundertzweiundneunzigste Gedicht

Berliner Reichstag

Dem dolcen Feudel

Per Schlange fädelt man sie ein
Metalldurchdoktort komm'n'se rein
Von Luftboys werd'n'se aufgezogen
Verwendelt und im Schritt gebogen
Kreisenhaft aufs alte Haus
Kaum sind'se drin, schon schau'n'se raus

Vom Reichstag verkuppelt
Janz eene Wolke

Trau'n zu, dass der Bau hält:
Dem deutschen Volke

Der Berliner Neptunbrunnen & das sechshunderteinundneunzigste Gedicht

Der Berliner Neptunbrunnen

Nichtstun und Neptun

Um mich vom Nichtstun auszuruhn
flaniert' ich heut zu Neptuns Brun'n

Kandiert von Kalk und Grünspans Zier
hockt ungeduscht im Muscheltier:
Neptun. Und wartet aufs Waten im Zufluss
(man weiß nich', wassersonsso als Wassermann tun muss ...)
spricht ein Machtwort an die Kinder, die sich um ihn gruppieren
"Nich' Schuppen hier – die überlasst ihr den Tieren!"

Vom Erdgeschoss her reckt sich ringsum Reptil:
Schildkröt', Schlang' und Krokodil
Fehlt zoologisch noch 'ne Echse
Dann guck'se nach und wat entdeck'se?

'n Seehund. Hinterm Neptun und
denks': Was'n da der Hintergrund?
und andrerseits: Is' doch mal schön –
so ohne Grund 'n Seehund seh'n!

Einmal um Neptuns Brunnen rennen
kann man nu' auch nich' Nichtstun nennen
Ich wünsch' (mein Tagwerk ist erbracht)
'ne schlecht gereimte Gute Nacht!

BVG & das sechshunderteinundachtzigste Gedicht

BVG U-Bahnhalt

Berlin an guten Tagen

Berlin an guten Tagen ist
Wie wenn man warmen Honig frisst
Und Musen schmusend danach gieren
Dich, Dichterwicht, zu inspirieren
Für immerdar
Ambrosia
Und Fräuleins
Die an ungestörten
Orten sportlich unerhörten
Wohlgefallen auf dich schwallen
Selbst die U-Bahn empfängt dich mit offenen Armen
Alles spielt hier kokett nach des Zufalls Erbarmen
Ständig geküsst von Laternenschein-Milde
Schnurrt die Nacht um den Tag
Und die Nacht ist 'ne Wilde

Doch von dir werd ich immer gezwungen zu sagen
Wie Berlin ist an wen'jer gelungenen Tagen

Nun,
Nicht so gelungen. Aber das dann mal richtig!
Nur drei Tage später ist's auch nicht mehr wichtig

Karl-Marx-Allee & das sechshundertachtzigste Gedicht

Karl-Marx-Allee

Ich bau' dir ein Schloss

... ans Ende der Karl-Marx-Allee!
Wär' das nicht der aller Entrées ihr Entrée?
Ein jeder käm' uns noch von sonstwo entgegen
Um nur einmal sich dortlängs hinfortzubewegen
Alles pro Promenieren und Boulevardieren
Per flachem Flanieren dem Trott trottoiren

Und halt manchmal auch einfach nur gradwegs spazieren

Mit Upgrade-Gezwirntem mittenmang
Wer sich geh'n lässt, ergibt sich dem Droschkenzwang
Hei, da grüßt schon recht stramm die Strausberger Garde
Man hält sich an Restkandelabern gerade
Und im bersteinrostgoldenen Lichtergewühle
Beschleichen uns schlendernd noch Torschluss-Gefühle

Da fühlt sich der Streuner wie ein Burgherr in spe
Auch wenn hier kein Schloss steht – Kerl, wat'n Entrée!

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