Einakter

Alles, was die zwölf Zeilen überschreitet - aber auch noch nicht an die Länge der Slamgedichte/die Vortragsdauer von drei Minuten (oder mehr) heranreicht.

Nachmieter & das zweitausendsiebenundsiebzigste Gedicht

Einer der von neuen Mietern genutzten Stadtpaläste Havannas

Havannas Paläste in der Wiederverwertung

Es ist, scheint's, die Gerechtigkeit
Nicht sehr erpicht auf stilgerecht.
Zunächst vergeht doch sehr viel Zeit,
Dann muss es schnell geh'n - oft wird's schlecht.

Man schaut auf alter Prachts Verfall
Als das, was wir erstritten -
Verwittert mit im Abgasschwall
Längst ausrangierter Schlitten.

Man restauriert ein Überall
In stets zu kleinen Schritten
Und überhört den Widerhall,
Wie hart man einst gelitten.

Bewerten wir Gerechtigkeit
Bisweilen etwas ungerecht -
So, weil halt Optik sehr laut schreit,
Wenn man zu viel an Schönheit blecht.

Am Grubsee & das zweitausendachtundvierzigste Gedicht

Am winterlichen Grubsee

Laudatio für ZwaSpraSpie

Unter Zugzwang mich die Zwanzig setzt,
mir flugs zu wahr'n die Chance sich jetzt
zu bedanken für die stets geschätz-

-ten Sprachspielereien im Briefkastenschlitz!
Wo Lacher gedeihen mit tieferen Witz,
bedacht von Stil- wie Geistbesitz.

Da wird ein Vers frei von der Leber gefegt,
ein Anagram anders zusammengelegt,
dort ein Palindrom paarig aus Wortlust zersägt,
dann durchcruist man 'nen Ort, den ein Limerick prägt.

Mal werden die Reime aus Eimern geschüttelt,
mal augenverführt von der Brechstang' durchrüttelt,
mal sprüht's aus bislang unbekannten
anverwandten Varianten.

Neunzehnmal (nun, das galt zumindest bis heute)
ward klar mir, dass ich was Enormes erbeute
Beim Lesen der Saat Deiner formtreuen Meute!

Und außerdem ... - schon fällt das Layout die Schranke!
Zwei Silben noch, Nora, ich bitte Dich: Danke.

Durchblick & das zweitausendvierzigste Gedicht

Blick auf Schloss Spiez

Zum Loch im Schritt meiner Lieblingsbuxe

Es leistet die Hose grad da sich ein Loch,
Wo auch meine Unterbux leckt.
So zeigt sich falthaarig ein Sackstückchen noch,
Obschon rundum doppelt bedeckt.

Doch, Freunde, vielleicht gibt's im Rund dieser Welt
Zehn Menschen, den'n solche Entblößung gefällt!?
Die mit jener Entdeckung Schwung
Nebst Mannschaftsportsbegeisterung
Beschließen, zum Team sich zusammenzuschließen,
Und mit mir trainieren das Fußbälleschießen!?
Wir hangeln uns von Sieg zu Sieg
Hin zum Gewinn der Champions League!
Und in Interviews wird oft gefragt, wie es kam,
Dass sich diese Mannschaft formierte -
Dann wühle ich just den Teil Sack aus der Scham,
Der einst durch mein Hosenloch stierte.

Ein Augenblick Hoden - wie kurz auch - vermag,
Den Lauf aller Bälle zu ändern ...
Zeig dich unbeeindruckt von Moden und trag
Mit Stolz den Verfall von Gewändern!

Nur du konterst bar der Erkenntnis vom Zweck:
"Jetzt echt: Diese Hose - wirf endlich mal weg!"

Mole Antonelliana & das zweitausendsechsunddreißigste Gedicht

Blick auf die Mole Antonelliana, dem Wahrzeichen von Turin

Sisyphos unterwegs

Maske, Perso, Impfnachweis -
Irgendetwas vergesse ich immer!
Es stresst mich mein Verschusselfleiß -
Und das wird stetig schlimmer.

Je länger die Liste vergessbarer Dinge,
So bängrer wird mir, dass ich es nicht vollbringe,
Vier Schritte vor das Haus zu geh'n
Und nicht gleich wieder umzudreh'n,
Weil ich, Geld, Handy, Stift oder Tickets vermissend
(und meinen Verstand ob solch Leerstellen dissend),
Fünf Stockwerke rauf muss, zur Wohnung zurück.

Bis ich einst kapier, schier verzweifelnd vor Glück:
"Ich hab meinen Schlüssel ja gar nicht dabei!"

Das wär meine Chance, denn dann wäre ich frei!

Abfahrten & das zweitausendfünfundzwanzigste Gedicht

Im Ski-Gebiet von Zinal

Waldabfahrt

Das hämmernde Schienbein, das stechende Knie
Besänftigen sich auf dem schnurrenden Ski,
Der nun nichts mehr fordernd den Waldweg begleitet -
Was keinerlei Anstrengungsgrade bereitet:
Hier greift Kontemplation
In die Meditation.

Sonor klingt der Tag aus in mäßiger Fahrt,
Bis kurz in der Kehre der Schneeteppich scharrt.
Ohne Anschub läuft's fort, nun in anderer Richtung,
Zur nah'nden, vom Dorfeingang kündenden Lichtung,

Eh man, vom Tage angestrengt,
In eine kurze Abfahrt lenkt,
Sich ächzend von den Brettern schnallt.

Hab Dank für diesen Abschluss, Wald!

Altes Haus & das zweitausendzweiundzwanzigste Gedicht

Im alten Dorfkern von Grimentz

Updates in progess

Ich bin aus der Schlappschwanzgeneration, kann keine Zementsäcke tragen,

Ich weiß Schreibmaschinen
Nicht recht zu bedienen,
Wurd niemals von Lehrern geschlagen.
Ich bin aus der Schlappschwanzgeneration, ich kann keine Falkpläne falten,

Wurd nie zu nem Amt
In Vereinen verdammt,
Weiß Rufnummern nicht zu behalten.
Ich bin aus der Schlappschwanzgeneration - doch ich wurde als Kind nie getrackt,

Hab jahrelang ganz ohne WLAN gelebt
Und Alben beflissen mit Fotos beklebt,
Hab in Schaufenstern alles entdeckt.
Ich bin aus der Schlappschwanzgeneration - mit leicht atavistischem Schwanz.

Doch mein Unfähig-Sorgen
Erlöst Ihr im Morgen:
Denn Euch fehlt das Schlappe schon ganz.

Ehre, wem Ehre gebührt & das zweitausendachtzehnte Gedicht

Das Goudron-Denkmal für Ernest Guglielminetti bei der Saltinabrücke in Brig

Briger Denkmäler (wider die Lebenswerkbürde)

Der Erfinderin des Cordon Bleu, dem Schöpfer der Straßenbeteerung
Und einem Piloten vom fernen Peru - die Stätten der Heldenverehrung
Sind in Brig
Auf einem Blick
Zwar spartig, doch sehr ausgewogen!

Nicht Päpste und Feldherr'n
Je nochmals als Held ehr'n
(die oftmals noch falsch abgebogen)!

Für den schmalen, genialen Moment statt fürs Leben
Den passenden Namen aufs Denkmal zu heben,
Ist von unumstößlicher Zeitlosigkeit,
Die vorm Größenwahn wendiger Trends scheint gefeit!

Jed Dasein benötigt Asphalt für die Raser,
Das Cordon Bleu, El cóndor pasa!

Massenevent & das eintausendneunhundertneunundneunzigste Gedicht

Badende Saatkrähen im Eiskanal

"Hast du eigentlich zugenommen?" (Mein Fett)

Ich habe mir so manches Pfund
Aus Faulheit angefressen
Und doch noch nie - aus gutem Grund -
Den Bauchumfang gemessen.
Längst bläht mein Körper, schwartenreich,
Sich feist aus seinem Rahmen,
Schlaff schwabbelt er sich, butterweich,
Zum Schauplatz welker Dramen.
Die Unform grölt manch Garstigkeit
Zwäng ich die Plumpheit in mein Kleid -
So resigniert an mir auch die
Kühnste Positivity,
Denn dieser Body flockt grad aus
Mit prallbrutalem Optikgraus!
Da wölbt die Wampe sich hervor
Als Walleibinselschmer,
Presst schmatzend sich durch jedes Tor
Aus schmalzdurchduns'nem Meer.
Es speckt der Wanst sein Zellulied,
Die Fleischigkeit zu gerben -
Die ratlose Ästhetik zieht
Als letzten Vorschlag: "Sterben!?"

Das scheint weise, denk ich leise,
Als ein Ziel von meiner Reise -
Kann doch grad ich fettes Schwein
Dann der Welt Entlastung sein!

Zugvogel? & das eintausendneunhundertsechsundneunzigste Gedicht

Überwinternde Gans am Flauchersteg

Pure Chance (Die Überwinterer)

Wenn ihr die
Hiesigen Breitengrade
Grad Unbehagen bereiten
Und ihr der Biss des Winters stinkt,
Tragen sie alsbald die Weiten
Ihrer Flügel und beschwingt
Gleitet sie gen Afrika
Für ein gutes Vierteljahr.

Dort gilt's bloß, Hyänenzähnen
Forsch die Stinkefeder zeigen!
Und beim Anblick größ'rer Mähnen
Hoch in heiße Höh'n zu steigen,
Um auf flirr'nder Luft zu segeln
Und der Rest wird sich schon regeln
Im besagten Vierteljahr.

Heute klagt man: Afrika
Sei noch so ein Sinnbild vom Voll-Übertreiben -
Man müsse doch gar nicht so weit!
Denn die, die im Froste vor Orte hier bleiben
Wärmt Flucht als pure Möglichkeit.

Absageüberbleibsel & das eintausendneunhundertfünfundneunzigste Gedicht

Der nach der Winter-Tollwood-Absage verbliebene Zauberwald mit glitzerndem Pegasus von Torsten Mühlbach

Lass mal an uns selber glauben

Scheint, dass ich mich beim Zwiebelnschneiden
Von Jahr zu Jahr verbesser!
Natürlich müssen da andre entscheiden -
Im besten Fall, freilich, die Messer!

Ich denk ja, dass für mich das Jahr
Zweitausend sehr entscheidend war.
Vermutung nur zwar, die durch wenig zu stützen
(wem sollten Details hierzu letztendlich nützen?) -
Doch setzt das Ergebnis ein ganz klares Zeichen:
Es lässt, was man wirklich will, sich auch erreichen!

Und das Schneiden von Zwiebeln ist fürs Kochen soo wichtig!
Wer echt an sich glaubt, kann's von selber bald richtig!
Im Jahre Zweitausend hat's bei mir dann gefunkt,
Rein kochtechnisch ein Wendepunkt.

Diesen Rat mag zur Weihnacht ich Mutlosen schenken:
Auch tränenden Auges stur positiv denken!

Seiten

RSS - Einakter abonnieren