Einakter

Alles, was die zwölf Zeilen überschreitet - aber auch noch nicht an die Länge der Slamgedichte/die Vortragsdauer von drei Minuten (oder mehr) heranreicht.

Blätterwald & das eintausendfünfhundertsiebzigste Gedicht

Herbst im Olympiapark München

Am Altpapiercontainer

Am Container für Papier
Wird's Gemüt so trübe dir,
Weil das, was in den Schacht du schiebst
Und dem Vergessen übergibst,
War von Gewicht zu deiner Zeit -
Nun geht's den Weg zur Nichtigkeit.

All die sorgsam aufbewahrten
News, Ideen und Heldentaten,
"Boah!"s, die zum Bericht verdichtet,
Journalistisch nachgerichtet,
Menschen, die die Welt bewegten
Und dein eignes Werden prägten -

Was kurz als geltend galt, wird hier
Zur Restressource Altpapier.

Sehr wenige der mal gelesenen Zeilen
Werd'n ewignah in der Erinn'rung verweilen -
Es geht dein Gedächtnis so bald schon in Rente
Und schluckt dann eiskalt selbst die schönsten Momente.
Drum wird's Gemüt so trübe dir
Dort am Container für Papier.

Rosengartenzentaur & das eintausendfünfhundertsechsundsechzigste Gedicht

Zentaur-Statue im Rosengarten der Borstei München

Prekärer Rat

Und wieder wird ein neuer Tag
Nichts Lohnenswertes bringen,
Nur sein Portiönchen Zahnbelag
Aus alten Lappen wringen.
Du putzt und putzt und putzt und putzt,
Doch nichts wirkt echt gesäubert.
Da jeder Tag nur schlecht genutzt-
E Lebenszeit dir räubert.

Ob dich das in den Selbstmord treibt?
Ich wüsst' nicht, was dir sonst noch bleibt -
Bedenklich wie bedenkenswert,
Vielleicht wird's ja gelingen?!

Bevor sich unnütz Zweifel mehrt:
Mehr wird der Tag nicht bringen!

Wauwaubau & das eintausendfünfhundertneunundfünfzigste Gedicht

Bunte Hundekottüten gesehen in Essen-Überruhr

Die Steiger und das Steigern

Ich weigere mich couragiert!
Wenn jeder Bürger Steiger wird
Rückt bald der Ruf, den dies einst hatte
Auf Stufe »Mir doch superlatte!«
Scheint auch ein Steig zuweilen klein
Du steigerst dich da in was rein!
Denn hat es je wen int’ressiert
Ob der Herr Ober Oberst wird?
Der Maier wär’ maist lieber Mai
Der Bayer beißt sich mit good bye
Die Praia preist den Hermann Prey
Der Geier Geist bleibt gerne gay
Oh nein, das Heil vom Trottoir
Liegt sicher nicht im Kompara-
Tiv, da liegste schief, mein Jung’!
Das kommt von der Versteigerung
Und zeigt, wie weit man abgeirrt
Wenn jeder Bürger Steiger wird!

Bergrücken & das eintausendfünfhunderteinunddreißigste Gedicht

Wendelstein mit Wendelsteinkircherl

Die Schulter-Nacken-Partie der Marilyn M.

Die Schulter-Nacken-Partie von Marilyn Monroe
Ist wie frühmorgendlich unbetretener Schnee ...
Welch Huldigung wagt sich an solch Perfektionsshow,
Da allüberall singt der Sinne Juchhe!?

Darf dein dürftiges Dasein solch Glorie erwarten,
Die von Kameras für deinen Bildschirm geraubt?
Wird dank jener Ansicht vom unbegrenzt Zarten
Nicht erst an die Mächte der Götter geglaubt?

Diese Rückenpartie der verzückten Beglückung
Ist ein fast überfordernder Buttercremeschmelz!
Drum braucht ihr Genuss eine Schling-Unterdrückung,
Ein erdendes Mal des Nicht-von-dieser-Welts!

Sonst wär' ich, meinem Blicke gleich,
In Haut schon längst versunken
Und all der süßen Pracht zu reich
In Liebreizflut ertrunken.

Wusterhausen & das eintausendfünfhundertsiebenundzwanzigste Gedicht

Bahnhof von Wusterhausen (Dosse)

Abendspaziergang durch Wusterhausen

Der Dorfplatz erwartet sehr stumm noch Idylle,
Da des Springbrunnens Vorfreude hüpft, unbeirrt.
Ich schlend're fast lautstark durch Frühabendstille,
Süß umsummt von Gewissheit, dass nichts mehr passiert,
Was klug ausgemessene Schönheit berühre,
Die sich aus der kommoden Verlassenheit speist
Und manche auf Immer geschlossene Türe
Ob der Melancholie ihres Ausharrens preist.

Wie lang kann das abweisend Raue verstecken,
Eh ein zweiter Fontane den Zugang verrät?
Wie nötig ist seinem Bestand ein Entdecken,
Wie gewollt solcher Abstand zur Normalität?

Der Dorfplatz verschluckt mich all diesen Gassen,
Nur des Springbrunnens Unruhe löscht das Klischee.
Die Straße der Schifffahrt scheint doppelt verlassen -
Teil des Kleinods, umschlossen von Dosse und See.

Märchenwald & das eintausendfünfhundertzweiundzwanzigste Gedicht

Märchenwald am Kyritzer See

Als die Mutter

Als die Mutter uns bat,
Jetzt nach Hause zu kommen,
Wär'n wir besser im Wald noch geblieben.
Wir hab'n in der Tat
Uns viel schlechter benommen
In der Welt, die Vernünftige lieben.

Wir waren so vertieft im Spiel,
Dass wir keine Sekunde bereuten.
Heut bist du ein Junkie, ich bibliophil -
Mitten Dingen, die kurz nur bedeuten.

Als die Mutter uns rief,
Weil das Abendbrot warte,
Wär'n wir besser am Waldrand verschollen.
Weil, so wie es lief,
Uns doch nur offenbarte:
Wir sind zu verführbar im Wollen.

Zürichseemitte & das eintausendfünfhundertsiebzehnte Gedicht

Wasserqualität Zürcher See

An stets ereignislosen Tagen

An stets ereignislosen Tagen
Bin ich einfach Leim,
Stell die abgenutzten Fragen,
Such mir einen Reim.

An ereignislosen Tagen
Lob ich mir die Lieb
Und verschöner' mein Versagen
Wie ein falscher Dieb.

An ereignislosen Tagen
Denk ich nicht sehr weit -
Muss den Dom nicht überragen
(Hätt ich auch die Zeit)!

Zu den hier beschrieb'nen Tagen
Schleicht sich ein Gewöhnen,
Um Gedanken und den Magen
Würzfrei zu befönen.

An stets ereignislosen Tagen
Kraul ich Bruder Leim,
Spür sein schnurriges Behagen
Wie ein zweites Heim.

Love/Hate & das eintausendvierhundertzweiundsiebzigste Gedicht

Love/Hate-Skulptur am Landesmuseum

Säumiges

Ach, ich gewahrte viel zu spät:
War heut glatt ohne Schreibgerät
Zum Dichten aufgebrochen!

Schon kam da angekrochen:
Ein lang vermisster Geistesblitz -

Den in Ermanglung an Notiz
Ich bis zu meiner Rückkehrstund
(als bloß vom Glück bescherten Fund)
Ins Hirn mir tätowierte,

Derweil ich stur flanierte -

Im Kopf nur diese eine Zeile
Nebst meinem Willen, diese heile
Noch zu Papier zu bringen.

Es sollte mir gelingen.

Doch der Vers, den ich brav hab behalten für Stunden,
Wurd' dann schon recht bald für nicht tauglich befunden.

Sein wahrer Wert war offenbar,
Dass er so sehr gefährdet war.

Rotwandseitenflügel & das eintausendvierhundertzweiundsechzigste Gedicht

Felsen neben der Rotwand

Der erhobene Finger

Ach, nun schnattern sie wieder ihr "Das geht zu weit!"
In knüppelharter Einigkeit,
Brüll'n "Henker her!" und "Zapperlot!"
Und tapern Richtung Denkverbot,
Pollier'n Heiligenscheine, als hätten hienieden
Sie selbst sich nicht längstens schon anders entschieden -
Denn vorm großen "Boah, nee!"
Ging's doch sehr lang okay?!

Wer mit Trara sein Mantra schreit,
Der tarnt sich nur - denn wirklich weit
Ist man gar nicht entfernt von dem hässlichen Schritt -
Und wenn der Mainstream marschiert, geh'n'se eh alle mit!
Doch eh sie höchstselbst jenen Wandel vollzieh'n
Wird auf alle, die vordem so handeln, gespie'n.
Da will man scheltend sich ereifern
Und lauthals nach Vergeltung geifern,
Da glänzen vom Mut durchgeknetete Waden
Beim Tänzeln auf gut ausgetretenen Pfaden.
Man krönt sich im Empörungskult,
Beschönigt seine eigne Schuld:

Will ja Kinosaalmuff, findet Live-Musik nett
Doch hat Spotify-Abo, 'ne Streaming Dienst Flat
Will das Krimsikramslädchen, doch hat Amazon-Prime
Und ruft Lieferandos sich zahlreich ins Heim
Und bigott blökt die überdosierte Moral:
Ich hätt' gern ein iPhone und den Wal!

Ja, Miss Missionierung und Herr Schaftsanspruch
Die heucheln und meucheln und seh'n nicht den Bruch,
Dass ihr Maßregelwerk nicht ihr Tagwerk bestimmt
Und man eifrig negiert, welche Richtung das nimmt.
Die frömmeln sich zur Wasserpredigt
Und kömmt's, dass wer Wein trinkt, dann wird der erledigt!
Mit dem endgeilen Dolch dieser scheinheilig Frommen
Wird eilig und lustmolchig Anstoß genommen,

Und aus sündigem Tal erheb ich meine Stimme:
Nicht die Tat und die Schuld sind das eigentlich Schlimme -
Der notorische Pranger, erleb ich unterm Joch
Ist nun ebenso schäbig, nein, schäbiger noch.

Wer mit erhobenen Finger stets auf andere zeigt,
Erprobt sich als Arsch, der zum Aufmarsche geigt -
Scheint's vorm großen "Boah, nee!"
Es auch sehr lang okay ...
Wer A keift, hat schon B gesagt
Auch wenn der nette Mann noch fragt:
Eins, zwei oder drei?
Geht's um die Entscheidung, ist keiner mehr frei.

Und wo wer letztlich wirklich steht,
Seht ihr, wenn der Wind sich dreht!

Lichtblick & das eintausendvierhundertzweiundfünfzigste Gedicht

Himmel über München

Aber sollte denn jetzt noch

Aber sollte denn jetzt noch
Das erlernte Final doch
Auf irgendwann mal
Sich verschieben?
Grätscht nun Glück in die Quere,
Zerpflückt Flaute und Leere,
Die ich mich getraute
Zu lieben?

Aber sollte denn jetzt noch
Ich weiter mich winden,
Als würd' ich nicht längst in dem Loch
Mich befinden?
Kann an dessen Rändern
Sich doch was verändern?

Na ja, hey - mal schauen!
Und weiter: misstrauen.

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