Rotwandseitenflügel & das eintausendvierhundertzweiundsechzigste Gedicht

Felsen neben der Rotwand

Der erhobene Finger

Ach, nun schnattern sie wieder ihr "Das geht zu weit!"
In knüppelharter Einigkeit,
Brüll'n "Henker her!" und "Zapperlot!"
Und tapern Richtung Denkverbot,
Pollier'n Heiligenscheine, als hätten hienieden
Sie selbst sich nicht längstens schon anders entschieden -
Denn vorm großen "Boah, nee!"
Ging's doch sehr lang okay?!

Wer mit Trara sein Mantra schreit,
Der tarnt sich nur - denn wirklich weit
Ist man gar nicht entfernt von dem hässlichen Schritt -
Und wenn der Mainstream marschiert, geh'n'se eh alle mit!
Doch eh sie höchstselbst jenen Wandel vollzieh'n
Wird auf alle, die vordem so handeln, gespie'n.
Da will man scheltend sich ereifern
Und lauthals nach Vergeltung geifern,
Da glänzen vom Mut durchgeknetete Waden
Beim Tänzeln auf gut ausgetretenen Pfaden.
Man krönt sich im Empörungskult,
Beschönigt seine eigne Schuld:

Will ja Kinosaalmuff, findet Live-Musik nett
Doch hat Spotify-Abo, 'ne Streaming Dienst Flat
Will das Krimsikramslädchen, doch hat Amazon-Prime
Und ruft Lieferandos sich zahlreich ins Heim
Und bigott blökt die überdosierte Moral:
Ich hätt' gern ein iPhone und den Wal!

Ja, Miss Missionierung und Herr Schaftsanspruch
Die heucheln und meucheln und seh'n nicht den Bruch,
Dass ihr Maßregelwerk nicht ihr Tagwerk bestimmt
Und man eifrig negiert, welche Richtung das nimmt.
Die frömmeln sich zur Wasserpredigt
Und kömmt's, dass wer Wein trinkt, dann wird der erledigt!
Mit dem endgeilen Dolch dieser scheinheilig Frommen
Wird eilig und lustmolchig Anstoß genommen,

Und aus sündigem Tal erheb ich meine Stimme:
Nicht die Tat und die Schuld sind das eigentlich Schlimme -
Der notorische Pranger, erleb ich unterm Joch
Ist nun ebenso schäbig, nein, schäbiger noch.

Wer mit erhobenen Finger stets auf andere zeigt,
Erprobt sich als Arsch, der zum Aufmarsche geigt -
Scheint's vorm großen "Boah, nee!"
Es auch sehr lang okay ...
Wer A keift, hat schon B gesagt
Auch wenn der nette Mann noch fragt:
Eins, zwei oder drei?
Geht's um die Entscheidung, ist keiner mehr frei.

Und wo wer letztlich wirklich steht,
Seht ihr, wenn der Wind sich dreht!