Erde

Verse für die Melancholiker, denen man Erde, Herbst, Abend, Erwachsenenalter zuordnet.
Die besinnlichen und leisen Gedichte.
Von Aphorismen bis zur Vanitasdichtung.

Sollte Ihnen ein hier eingereihtes Gedicht eher den anderen Kategorien Erde, Luft oder Feuer entsprechen, bitte ich, mir eine Nachricht über www.hirnpoma.de zukommen zu lassen!

Schilfblüte & das zweitausendeinhundertzweiundachtzigste Gedicht

Schilf am Murnauer Moos-Weg

Ripostegedicht auf "Herbsttag" (1902) von R. M. Rilke

Wintertag (2022)

Gott: ist dat kalt! Und der Frost macht bald groß.
Wir lesen schnatternd Gasstandsuhren
Und kurz hernach geht’s Winseln los.

Deck dich mit Konserven und Trockenobst ein;
Begib dich ins Loch ungemütlicher Tage,
Bedrängt von Entwertung und Weltfinanzlage -
Diese Welt voller Büsser fängt schwer an zu wein'n.

Wer jetzt sein Haus heizt, hat bald keines mehr,
Wird schrei'n: „Ej, verleiht hier wer Thermoglasscheiben!?“,
Wird Wasser schleppen, preppen, um letzlich auch 'nen Campinggaskocher aufzutreiben.
Und wird nach allem Hin und Her
Sich wundern, wo die Blackouts bleiben.

Grote Markt & das zweitausendeinhundertdreiundsiebzigste Gedicht

Der Große Markt in Brüssel

Bilanz im Herbst

Gülden streicht der Seelenpinsel
Mit der weichsten Quaste
Und erwärmte Blattgerinnsel,
Sprungbereit vom Aste,
Fangen seine Farbe ein.

Ich wollt dieses Jahr noch küssen,
Ehe es mir blindet,
Dass man's in den Zeitenflüssen
Einst auch wiederfindet,
Ihm noch etwas Glanz verleih'n!

Doch schon ruht im späten Licht
Weisheit wider Ehrgeiz,
Schnurrt in Schönheit: Sorg dich nicht,
Jedes Jahr birgt mehr Reiz!

Haltestellensimulation & das zweitausendeinhunderteinundsiebzigste Gedicht

Comic auf einer Fassade in Brüssel

Spätes Frühstück

In Käse dräut der Überdruss
Mit unbestimmten Noten.
Ich fläze mich im Nicht-Entschluss,
Wo Eile wär geboten.

Ach, heilige Uneinsigkeit
Im Tee jeder Entscheidung!
Ich füttre dich mit meiner Zeit,
In zu bequemer Kleidung.

Es knuspert auch ganz ohne Biss -
Das wahrt mir meine Ehre
Und sei, sagt mir mein Selbst-Beschiss,
Die Art, wie ich mich wehre.

Eine von 6.700 & das zweitausendeinhundertvierundsechzigste Gedicht

Felsen in der 6.700-Inselwelt von Aland

(...) II

Ich liege bar in einem Strom - 
Nur Himmelblau und Wolken. 
Beim Reset auf mein Erstgenom 
Werd ich vom Fluss gemolken.
Ein sprudelnd Dudeldiedelei 
Bespült und kühlt mein Köpfchen high - 
Nur Himmelblau und Wolken.
Und nun ersäuft's mir allen Reim 
Im murmelndgurgelnden Daheim - 
Nur Himmelblau und Wolken. 

Es umströmt und umströmen mich Reinheit und Klarheit 
Wie göttlich zur Wurzel gereichende Wahrheit  - 
Nur Himmelblau und Wolken. 

Bis Narrenhandwerk, ungeübt,
Den Fluss zu solch Erkenntnis trübt,
Das stolz zu dies erlaubt sich glaubt
Und sich im Raubbau selbst beraubt,
Im Immergrau der Wolken.

Ausarbeitung/Fortsetzung vom gleichnamigen Text vom 22. Juli 2022

Bergedorf & das zweitausendeinhundertsechzigste Gedicht

Bergedorfer Mühle

Erwachen

Das Augenreiben besiegelt
Den Abschied von nächtlichen Träumen,
Jede Pforte zurück ist verriegelt -
Und so schau ich bedrückt ins Versäumen.

Landhandel & das zweitausendeinhundertneunundfünfzigste Gedicht

Auslage in Wennströms Landthandel Museum auf Vårdö

Eine lyrische Transformation als kuba-schwabinger Übersetzung der Texte der Dichterin Luz de Cuba

Die Ahnen (Egungun)

Im Erahnen der Ahnen
Und ihren weisen Hinweisen
Besänftigt sich meine Tortur.
Sie rüsten mich fürs Überwinden,
Aus zähem Dunkel rauszufinden,
Sind Licht und Lichtung pur,
Greifen ein wie ein Handwink, der meinen Weg leitet,
Sind das Nichts, das den Körper als Seele begleitet,
Ein spirituelles Vermächtnis,
Dessen Schatz testamentlos hier echt ist
Und sich üppig wie endlos vererbt.
 
Auch ungeglaubt entern sie Wirklichkeitssphären,
Wie als Teenager mir meine Oma erschien,
Entflammt aus der Ahn‘reihen magischem Schwären,
Unfassbar real, seither nicht zu entzieh‘n,
Spür ich ihre Präsenz, nachts im Traum, jederzeit,
Und wenn ich einst geh, steh‘n die Ahnen bereit,
Mich einzubinden in ihrem Geflecht
Von Stämmen, Historie, Familiengeschlecht,
Bis dass ich vollends Ahnin bin,
Dass ein Enkelkind oder Großenkelin
Als spirituelle Verbindung auf Erden,
Meine Seele ruft, wiedergeboren zu werden.

Geitauer Alm & das zweitausendeinhundertfünfundfünfzigste Gedicht

Auf der Geitaualm bei Bayrischzell

Aufbruch am Morgen

Wie immerwieder füllt die Luft
Die schlaff entschlackten Lungen,
Entledigt allen Sack-und-Packs
Gewichtelt‘s ungezwungen.

Und wie der Sonne Strahl mich knufft
Und scheint wie neu geboren!
Ich schreite königwärts und wachs‘
In Nase, Aug‘ und Ohren.

Skinnarviksberget & das zweitausendeinhunderteinundfünfzigste Gedicht

Sonnenuntergang über Stockholm vom Aussichtspunkt Skinnarviksberget

Gegenlichtpoesie

Im Land der Gegenlichtaufnahmen
Hängt am Glitzern und Glühen doch alles,
Ist die dunkle Gestalt nur ein Zubrot vom Rahmen,
Gleich dem Nachhall des optischen Schalles.

Hier ist Schönheit erst wahrhaftig luxuriös
Und im Unterlicht gar nicht vonnöten -
Hier besoßt uns der Himmel so deliziös,
Dass alle Poeten erröten.

Katarina Kyrka & das zweitausendeinhundertneunundvierzigste Gedicht

Katharinenkirche im Stockholmer Stadtteil Södermalm.

Vorletzter Tag am Urlaubsort

Schon der vorletzte Tag am Urlaubsort -
Es staubt in das lahmende Jetzt nun ein Fort
Mit der Unwiederbringbarkeit fehlender Haken.

Doch fragen wir was ungetan
Ob einer zweiten Chance noch an,
Weil vor Endgültigkeiten schon Größ're erschraken.

ABBA & das zweitausendeinhundertsiebenundvierzigste Gedicht

Im Abba-Museum Stockholm

Im ABBA-Museum

Der Vorwurf des Allzu-Gemachten
Rinnt dahin im Schon-längstens-gemacht.
Ein Chorus des einstmals Verlachten
Schien heut Abend von Grund auf durchdacht
Und wird es am morgigen Tage noch sein -
Verhallt ist allein
Mein schon sehr altes „Nein!“.
Und froh begrüßt kehrt Ruhe ein,
Beweis meiner Gelassenheit
(Derweil noch wer „Mehr Hassen!“ schreit).

Von Niederlage zu reden, befind ich,
Wär schlichtweg sehr unangemessen.
Auch tanzend verbleibt mir jed Grundsatz verbindlich -
Die Härte allein ist vergessen.

Seiten

RSS - Erde abonnieren